"Mehr Demokratie wagen" ist nicht ernst gemeint

Manfred Kriegeskorte

"Mitbestimmung" bei der OVAG - leider nicht nur eine Provinzposse

 

Als 1920 in Deutschland das erste Betriebsrätegesetz in Kraft trat, sollte damit die Tätigkeit der Arbeiterräte, die sich in der Novemberrevolution 1918 zugleich mit den Soldatenräten gebildet hatten, beendet werden. Das Gesetz wurde gegen den Widerstand von USPD und KPD, trotz Massendemonstrationen gegen das Gesetz und trotz Bedenken des Deutschen Metallarbeiterverbandes (Vorläufer der IG Metall) vom Reichstag beschlossen. Waren die Arbeiterräte vor dem Betriebsrätegesetz noch alleine Interessenvertreter der Betriebsbelegschaften, so kam für die Betriebsräte nach §1 des Gesetzes die "....Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke...." hinzu. Auch nach dem heute geltenden Betriebsverfassungsgesetz arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat "vertrauensvoll" zusammen.

Trotzdem ist es nicht so, daß Betriebsräte in Mitbestimmungsfragen dem Weisungsrecht des Unternehmers/Arbeitgebers zu folgen haben. In Betriebsräten und Personalräten nicht und auch in Aufsichtsräten haben sich Arbeitnehmervertreter nicht nach den Wünschen des Arbeitgebers zu richten. So weit alles klar? Wir werden sehen.

Am 26.09.2017 entsandte der Rat der Stadt Wiehl 4 Arbeitnehmervertreter und deren Stellvertreter in den Aufsichtsrat der OVAG (Oberbergische Verkehrsaktiengesellschaft). Die Fraktion Die Linke hatte mit NEIN gestimmt. Sie werden wohl fragen: Warum? Nun, zuvor hatte der Rat einer Änderung des Gesellschaftsvertrages der OVAG zugestimmt (die Stadt Wiehl ist Mitgesellschafter der OVAG). Neu in dem Gesellschaftsvertrag ist folgende Bestimmung in § 9 : "Die Arbeit-nehmervertreter sind nach den §§ 108a Abs. 4 und 9, 113 Abs. 1 Gemeindeordnung NRW an die Mehrheitsbeschlüsse des Kreistages und der Räte der Gesellschafter gebunden (Weisungsrecht)". Der Kreistag und die Räte sind die Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer sind also an deren Weisungen gebunden? Mitbestimmung per Dekret von oben?

Wir konnten es nicht glauben. So haben wir uns die geltende Fassung der Gemeindeordnung angesehen. Und tatsächlich, es steht in diesem Gesetz so geschrieben: Weisungsgebundenheit der Arbeiternehmervertreter in fakultativen (freiwilligen) Aufsichtsräten! Der Änderung des Gesellschaftsvertrages hatten wir natürlich auch nicht zugestimmt.

Nun wissen Sie, warum wir die "Arbeitnehmervertreter" nicht in den Aufsichtsrat delegierten. Sie sind einzig nur ein Feigenblatt in einem System das sich demokratisch nennt, die Demokratie aber nur wohldosiert und mit Abstrichen gelten lässt. "Wir wollen mehr Demokratie wagen" sagte Willy Brandt in seiner Regierungserklärung 1969. Ohne weiter zu hinterfragen, warum mehr Demokratie ein Wagnis sein sollte, können wir doch feststellen, auch im Hinblick auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche, das der Weg zu einer umfassenden Demokratie noch ein weiter Weg ist. Das nicht nur in Wiehl und in Oberberg, sondern im ganzen Land.